8:15 Uhr am Montagmorgen auf dem Weg zur Kita und Arbeit an der Ampel:

Neben mir eine Stimme von schräg hinten: „Fährt sich das gut? Und was kostet so ein Lastenfahrrad eigentlich?“
Ich: „Kommt ein wenig drauf an, aber so mindestens um die 3.000€“
Stimme: „Das ist ja schon ganz schön teuer“
Ich: „Das stimmt, aber ersetzt bei uns auch ein Auto“
Stimme: „Ach ja, dann macht das Sinn“

So oder so ähnliche Gespräche führe ich fast wöchentlich, wenn ich als stolzer Besitzer eines Lastenfahrrads in Hamburg unterwegs bin. Aber erst einmal ganz von vorne, denn vor einem Jahr war ich selbst so eine Stimme von schräg hinten.

Wie alles begann – Bericht einer Kaufentscheidung

Gefühlt schon immer waren meine Frau und ich mit dem Fahrrad in Hamburg unterwegs. Mit dem ersten Kind zog dann auch der Fahrradanhänger ein und schnell wurde er mehr genutzt als der Kinderwagen. Kind und Einkäufe wurden größer und der Anhänger ächzte unter der Zuladung des Wocheneinkaufs und die Knie unter der Zuglast. Angefangen als Tagträumerei fingen wir an uns mit Lastenfahrrädern zu beschäftigen…

Unterwegs mit Anhänger (Quelle: Markus Spiske)

Die Qual der Wahl

Während bei „normalen“ Fahrrädern die Unterschiede ja doch eher minimal ausfallen, gibt es bei den Lastenfahrrädern noch echte Unterschiede. Neben mittelgroßen Herstellern bieten auch viele kleine Tüftlerbuden (beispielsweise XYZ Cargo) besondere Lastenfahrräder für jeden Zweck an.

Zwei Grundsatzfragen mussten wir uns zu allererst beantworten:

  • Zwei oder drei Räder
  • Mit E-Motor oder purer Muskelkraft

Räder: Bis zur Arbeit sind es gut zehn Kilometer, die ich gerne sportlich zurücklegen will und da kommen eigentlich fast nur Lastenfahrräder mit zwei Rädern in Frage. Mit drei Rädern wird es ab ~20km/h doch eher schaukelig und in den Kurven müssen langsam gefahren werden, damit es nicht doch einmal umkippt. Zwar gibt es auch dreirädrige mit Neigung (beispielsweise von Butcher & Bicycles) – das fand ich aber eher gewöhnsbedürftig, da der Kopf erst einmal begreifen muss, dass es völlig ok ist mit Vollspeed in die Kurve zu gehen. Ein bisschen ähnelt es einer Fahrt mit den Pendolino Zügen.

E-Motor: Dank guter Pflege wird so ein Kind ja schwerer und schwerer – deswegen klar die Entscheidung für eine Variante mit Motor – was sich leider mit gut +2.000€ beim Preis bemerkbar macht.

Grau ist alle Theorie und so standen die ersten Probefahrten an. Glücklicherweise gibt es in Hamburg mit Ahoi Velo und Velo 54 zwei Händler mit übergroßer Auswahl aller relevanten Hersteller.

Du bist eine Runde weiter

Vom Start weg begeisterte uns „Dolly“ mit einem noch akzeptablen Preis (~3.300€), zwei Rädern, Option für Motor und schicken Farben.

Aber wie üblich – je tiefer man in das Thema einsteigt, desto mehr Fragen ergeben sich zwangsläufig. Unsere zwei Kernfragen:

  • Wieviele Kinder und Kästen Bier wollen wir damit eigentlich transportieren?
  • Fährt das Fahrrad sich auch gut wenn die Strecke mal ein wenig weiter ist und wie ist die Qualität auf lange Sicht?

Die Frage der Größe ist dem Autokauf eigentlich gar nicht so unähnlich: größer ist besser, aber im Alltag braucht man es in 80% der Fälle gar nicht. So entschieden wir uns gegen drei Sitze und nahmen in Kauf, dass unser Sohn in zwei Jahren vielleicht mit dem Kopf am Verdeck kratzen würde.

Die Entscheidung

Fahren die meisten Fahrräder sich noch ganz passabel bei der kurzen Spritztour im Viertel, machen Beladung und größere Strecken dann doch einen Unterschied. Deswegen landeten wir recht schnell bei den leider noch höherpreisigen Modellen von „Riese & Müller“ und „Urban Arrow“. Drei Probefahrten und eine Bauchentscheidung später entschieden wir uns für das „Riese & Müller – Packster 60“ (nicht mehr verfügbar, es gibt aber einen Nachfolger). Ganz verwandt, aber aktuell noch ohne Kinderverdeck ist das „One“ von der Cargofactory.

Motor?

So zentral der Motor – so wenig spielte er bei unserer Fahrradwahl eine wirkliche Rolle. Zwar gibt es auch hier eine kleine Vielfalt (Bakfiets & Cargofactory – Shimano Step E6100,  Dolly – Bafang MaxDrive, Doze mit Brose Drive S oder Shimano), aber zum einen ist Bosch ist mit seinen Motoren bei sehr vielen Herstellern vertreten (sogar mit einer eigenen „Cargo Line„) und zum anderen ist auch die Abstimmung auf das Fahrverhalten bei anderen Anbietern inzwischen gut ausgereift.

Relevanter war da tatsächlich die Schaltung: Die Probefahrt einer automatischen Schaltung überzeugte so gar nicht – selbst Andi ist beim VanMoof S3 nicht restlos überzeugt. Die stufenlose NuVinic Narbenschaltung dagegen macht zusammen mit einem E-Antrieb einfach richtig Spaß.

Der saure Apfel

Beim Preis bissen wir in den sauren Apfel, der zum Glück ein wenig durch das Dienstwagen-Leasing meines Arbeitgebers gemindert wurde. Auch die diversen Lastenradförderungen (Übersicht über Förderungen) können eine gute Alternative sein. Das letzte Fördervolumen der Stadt Hamburg war in 23 Minuten ausgeschöpft!

Zwischen uns und unserem neuen Familienmitglied standen jetzt nur noch knapp acht Wochen Lieferzeit – wir fühlten uns ein bisschen an die Erzählungen über die Trabi Lieferzeit erinnert. Für den Zeitvertreib empfehlen sich diverse Facebookgruppen (Cargo Bike HamburgLastenrad HamburgCargo Bike RepublicRiese & Müller cargo bikesUrban Arrow: Owners & RidersLastenrad Flohmarkt) und Foren.

Schneller als wir gucken konnten war das erste Jahr um und mehr als 4.000 Kilometer stehen auf dem Tacho. Wie es uns mit dem neuen Familienmitglied erging? Bald ebenfalls an dieser Stelle.

Dieser Artikel erschien zuerst auf lautlos.hamburg

Titelbild-Quelle: Todd Gravens | Unsplash

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